Historisches
Vom Familienkloster zur Reichsabtei
Am Beginn unserer Geschichte steht die Schenkung eines Gutshofes um 764 an Mönche, die wahrscheinlich aus St. Gallen und der Insel Reichenau am Bodensee kamen, durch den Landgrafen Silach und seine Frau Ermenswint. Das Kloster sollte die Grabstätte für ihn, seine Familie und seine Nachkommen sein, ein Ort, an dem immer für die Verstorbenen gebetet wird.
Im 8. Jahrhundert war eine Klostergründung jedoch nicht nur ein religiöser Akt, sondern hatte vielmehr auch politische und kulturelle Gründe. Die Reichsklöster der Karolingerzeit waren durch Ausstattungen und Zuwendungen zu Grundherrschaftskomplexen geworden, was den Grund für ihre enormen Leistungen, für ihre großen Gebäudekomplexe, für den Unterhalt von Bibliotheken und Schreibstuben, für ihre Herbergspflichten gegenüber dem reisenden Königshof, für ihre präzise festgelegten Leistungen von Agrarprodukten und Sachleistungen legte. Reichsklöster wurden zum Kulturmittelpunkt und Zivilisationsträger ersten Ranges, aber zugleich auch zum unverzichtbaren, integralen Bestandteil der Königsherrschaft im Reich (Georg Jenal).
Der Strukturwandel vom asketischen Mönchtum zum Kulturzentrum ging zudem einher mit der Klerikalisierung des Mönchtums:
War die Laiengemeinschaft der Mönche bei Benedikt bereit, auch vereinzelt einmal einen Priester in ihre Reihen aufzunehmen oder einen Mönch zum Priester weihen zu lassen (RB 62), so wurde das Priestermönchsein in den karolingischen Klöstern als Bildungs- und Ausbildungsstätten zum Normalfall. Dies wiederum führte zu einer Verlagerung des klösterlichen Lebens weg von der landwirtschaftlichen oder handwerklichen Handarbeit hin zur Förderung der Bildung und zur Entfaltung der Liturgie (nach RB 43.3). Ging Benedikt von Nursia im Idealfall von einem Kloster mit 12 Mönchen aus, entstand in fränkischer Zeit der Typus des Großklosters mit teilweise mehreren hundert Mönchen.
Nachdem das Kloster Ottobeuren 764 gestiftet (fundatio) und ausgestattet war (dotatio), bestätigte König Karl der Große 769 dem Kloster das Privileg des königlichen Schutzes, der freien Abtwahl, der Zollfreiheit und der freien Vogtwahl (confirmatio). Um das Jahr 830 zählte der Konvent etwa 22 Mönche, im Laufe des 9. Jahrhunderts wuchs er auf über 100 Mitglieder stark an. Bischof Ulrich von Augsburg, der in schwieriger Zeit in der Abtei Ottobeuren die äbtlichen Aufgaben 972/973 kurzzeitig übernahm, führte das Kloster zu einer ersten Blüte und erwirkte ihm die Reichsunmittelbarkeit von Kaiser Otto dem Großen (exemptio).
Man kann in Ottobeuren von drei Blütephasen sprechen: Im 12. Jahrhundert führte der selige Abt Rupert die Hirsauer Reform ein und erneuerte das klösterliche Leben. Unter seinem Nachfolger blühte dann eine Schreibschule, deren bedeutende Buchmalereien heute leider nicht mehr am Ort zu sehen sind. Eine zweite Blüte erlebte das Kloster im 16. Jahrhundert, als es ein Zentrum des süddeutschen Humanismus wurde und schon früh eine Druckerei betrieb.
Nach dem Dreißigjährigen Krieg, in dem das Kloster schwer gelitten hatte, blühte es unter Abt Rupert II. Neß im 18. Jahrhundert gewaltig auf. Er förderte sowohl das religiöse, wie auch das soziale, wirtschaftliche und künstlerische Leben sowohl im Kloster, als auch im Stiftsgebiet. Sichtbares Zeichen dieser Jahre ist die mächtige barocke Klosteranlage (Grundsteinlegung am 05. Mai 1711) mit ihrem Abschluß, der Klosterkirche, die eines der Hauptwerke des europäischen Barock darstellt.
Da die Vogteirechte der Klosterherrschaft über Jahrhunderte in auswärtigen Händen lagen, löste Abt Rupert II. Ness sie 1710 vom Augsburger Bischof ab und stellte damit die volle Reichsunmittelbarkeit wieder her. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die große, in ihren Funktionen dreigeteilte barocke Klosteranlage von Ottobeuren (Benediktinerkonvent Residenz des Reichsabtes Reichsstiftischer Hof), die Abt Rupert II. Ness (1710-1740), Abt Anselm Erb (1740-1767) und Abt Honorat Goehl (1767-1802) 1711-1766 gebaut und ausgestattet haben.
Bis zum 1. Dezember 1802, dem Tag der Säkularisierung des Klosters durch den bayerischen Kurfürsten Max Joseph, an dem er sich die Grundherrschaft, die Gebäude und das Vermögen des Klosters aneignete, waren die 51 Äbte des Klosters nicht nur Klostervorsteher und geistliche Väter ihres Mönchskonvents im Sinne des heiligen Benedikt von Nursia, sondern auch weltliche Herrscher in ihrem kleinen, historisch gewachsenen und sich immer wieder einmal verändernden Territorium, die nach ihrer Wahl zum Abt durch den Konvent der kaiserlichen Bestätigung und der Übertragung der Grundherrschaft als kaiserliches Lehen bedurften. Ottobeuren war seit seiner Gründung neben anderen Klöstern (und später den Städten) mit sich abwechselnden Phasen der Blüte und des Niedergangs ein religiöser, kultureller, bildungsfördernder, wirtschaftlicher und politischer Mittelpunkt im Raum zwischen östlicher Günz und Iller. Aus solchem Auftrag und dieser Verantwortung der Mönche für das Land und seine Menschen ergab sich eine Verbundenheit zwischen Kloster und Bevölkerung (Fr. Tobias Heim OSB).
Das benediktinische Gotteslob in Ottobeuren ist nie verstummt, auch nicht nach der Säkularisation von 1802. Ein Teil der Mönche verblieb im aufgelösten Kloster, das 1834 als Priorat von St. Stephan in Augsburg wiedererrichtet und 1918 wieder zur Abtei erhoben wurde und zählt heute 15 Mönche. So schaut der Konvent der Benediktinermönche dankbar auf sein ununterbrochenes Erbe zurück.